Wart ihr schon einmal in einer Oper? Also aus unserer Klasse bisher fast niemand. Daher stellten wir uns auf dem Weg zur Oper „Hänsel und Gretel“ im Globe auch viele Fragen: „Wird denn da alles gesungen? Also spricht da keiner?“ „Da ist doch ein Orchester dabei, oder? Spielt das während des ganzen Stücks?“

Am Ende des Tages würden wir alle Fragen mit „Ja“ beantworten können. Aber erst einmal liefen wir, die sechste Jahrgangsstufe des Albertinums mit unseren Lehrkräften, im Pulk durch Coburg. Im Globe angekommen, türmten wir unsere Jacken vor dem Eingang zum ersten Rang zu riesigen Bergen auf. So mancher fragte sich ernsthaft, ob er sein Exemplar am Ende wiederfinden würde. Dann war es auch schon so weit und wir nahmen unsere Plätze in dem coolen Rundbau ein. „Von außen sieht es ja eher wie ein Parkhaus aus“, kicherte eine Mitschülerin und viele stimmten ihr zu.  Einige von uns hatten Plätze in der vordersten Reihe ergattert, wo man die Arme gemütlich auf die Ballustrade legen konnte und so einen perfekten Blick auf die Bühne hatte. „Nur nicht einpennen, gell!“, gluckste jemand. Wenige Sekunden später war der großartige Klang des Orchesters zum ersten Mal zu hören. Als der Vorhang sich lüftete, staunten wir nicht schlecht, als Hänsel und Gretel in bunten Patchwork-Klamotten vor einem alten Wohnwagen erschienen. Dieser stellte ihr ärmliches Zuhause dar, in dem es nie genug zu essen gab. Und wer war Schuld an dem kargen Leben der Besenbinderfamilie? Der Vater, der, in dieser Märchenoper von Engelbert Humperdincks aus dem Jahr 1893, als Alkoholiker seinen Lohn regelmäßig in der Kneipe versoff.

Als Hänsel und Gretel nun vor dem Wohnwagen blödelten und sich um die Reste im Suppentopf stritten, kam ihre Mutter nach Hause und drohte ihnen Schläge an, da sie ihre Pflichten im Haushalt nicht erfüllt hatten. „Märchen sind ganz schön grausam!“, stellten wir fest, als die aggressive Mutter die Geschwister mit einem Schrubber zum Erdbeeren-Pflücken in den Wald jagte. Natürlich konnten wir es nun alle nicht mehr erwarten, die gruselige Hexe zu sehen. Ob sie diese typische krumme Nase mit Warze haben würde? Wir wurden aber noch bis nach der Pause auf die Folter gespannt. Erst einmal versagte im Wald das Handy-Navi der Kinder und sie bekamen ordentlich Schiss, als es dunkel wurde. Ein Sandmann – oder besser: eine Sandfrau – trat auf und sorgte für einen tiefen Schlaf der hungrigen, verlorenen Geschwister. Während Hänsel und Gretel schliefen, stürmte eine riesige Schar in Lumpen gekleideter Kinder – die gefangenen Kinder der Hexe  –  auf die Bühne und versammelte sich vor einem großen Bildschirm. Dieser zeigte Ausschnitte aus echten TV-Nachrichten und Dokumentationen über verlorene Kinder. Uns wurde schlagartig klar, dass es verlassene, verwaiste und verschollene Kinder nicht nur im Märchen, sondern auch immer wieder im realen Leben gibt.

In der halbstündigen Pause des Stückes atmeten wir erstmal auf, denn es war doch ganz schön anstrengend gewesen, den volkstümlichen Operngesängen zu folgen. Nach der Pause wurde das Stück – tadaaa – tatsächlich actionreicher. Endlich begegneten Hänsel und Gretel der Hexe. Die ließ Regisseur Neil Barry Moss allerdings nicht als hässliche, bucklige Greisin auftreten. Nein, die schrille Hexe Rosina Leckermaul tänzelte mit riesigem pinkem Hut in einem knallgelben Kleid, das mit Plüschtieren verziert war, über die Bühne. Echt abgefahren! Zu unserem Erstaunen steckte in dem Kostüm auch noch ein Mann (Dirk Mestmacher), der Hänsel und Gretel mit tiefer Singstimme umgarnte und anlockte. Auch das quietschbunte, mit Leckereien bestückte Hexenhaus und die Berge von Plüschtieren davor fanden die Geschwister erstmal gar nicht übel. Absolut komisch war, dass der Käfig, in den Hänsel bald gesteckt wurde, aus gigantischen rot-weißen Zuckerstangen bestand. Jetzt lief uns schon wieder das Wasser im Mund zusammen. „Das ist echt gemein, wenn man eh Hunger hat!“, fanden wir.

Natürlich kam es dann so, wie es bei „Hänsel und Gretel“ eben kommen muss. Am Ende warfen die Geschwister die fiese Kinderfängerin ins Feuer und befreiten damit die vielen unschuldigen Kinderseelen, die die Hexe vorher verspeist hatte. In der letzten Szene eskalierte das Stück: Der befreite Gesang des Kinderchors, die krassen Solos der erwachsenen Darsteller und der monströse Klang des Orchesters waren schon echt mega!

Vom Publikum gab es tosenden Applaus und auch wir legten uns noch einmal heftig ins Zeug, indem wir mehrmals im Chor lauthals „Emma !!!!“ schrien. Unsere Mitschülerin hatte nämlich, neben weiteren Albertinerinnen, in der gefangenen Kinderschar des Stücks mitgespielt. Nach dem langen Stillsitzen tat es richtig gut, auch mal die eigene Stimmpower rauszulassen!

Unser Fazit: Es lohnt sich irgendwie schon, sich einmal auf eine Oper einzulassen, auch wenn wir – ehrlich gesagt – für Sprechtheater oder Musical etwas leichter zu haben sind. Aber wahrscheinlich hat Frau Geus Recht, wenn sie meint, dass man sich – allein um der kulturellen Bildung willen – einmal diese musikalische Gattung reinziehen sollte. Oder im O-Ton Geus: „Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr!“

Klasse 6a